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Markus macht den Bachelor. Ohne Abitur.

Er kommt aus der Formel 1 – dem Sport der absoluten Perfektion, wer nur einen Millimeter von der Ideallinie abweicht, verliert. Umso erstaunlicher, dass Markus Kähler beweist, dass die (gesellschaftlich gewünschte) Ideallinie im Berufsleben gar nicht so wichtig ist.

Verkrustete Arbeitgeber, unmotivierte Jobberater und Lehrer, die das Berufsleben nur aus den 80ern kennen, bekommen bei diesem Lebenslauf Schnappatmung: Nach fünf Jahren am Gymnasium holte er an einer Realschule seinen Abschluss, dann eine Ausbildung zum Elektroniker und nach sechs Monaten Arbeit erstmal acht Monate Neuseeland und Südostasien. Im Anschluss ging es wieder rund um die Erdkugel im professionellen Rennsport zwischen Formel 1, DTM und Porsche Mobil 1 Supercup. An dieser Stelle könnte es eigentlich bis zur Rente so weitergehen. Stattdessen wollte Markus Kähler doch noch was lernen: Im Sommersemester 2019 tauschte er Boxengasse gegen Hörsaal, um Wirtschaftsingenieurwesen, Schwerpunkt Projektmanagement, zu studieren – ohne Abitur.

Wie wichtig Wissen ist, zeigte ihm dabei ausgerechnet die Arbeit: “Learning by Doing ist gut, aber ohne theoretische Grundlagen kann Projektmanagement schnell scheitern”, sagt Markus Kähler. Deswegen ging er nach sechs Jahren Beruf zurück an die Hochschule, genauer an die Technische Hochschule Georg Agricola in Bochum. Damit gehört er zu 122 Studierenden ohne Abitur, die sich in den vergangenen fünf Jahren an der Bochumer TH eingeschrieben haben.

Zahlen, Daten, Fakten

  • Jeder 20. Studierende der vergangenen fünf Jahre hat kein Abitur an der THGA (Fünf Prozent)
  • 102 abiturlose Studierende haben in dem Zeitraum den Bachelor gemacht, 20 sogar den Master erworben – das ist jeder 33. Master-Absolvent.
  • Knapp 100 Studierende (84%) studieren in Teilzeit, um Beruf oder Familie und Studium zu verbinden.
  • Die beliebtesten Studiengänge:
    * Elektro- und Informationstechnik (19 %)
    * Angewandte Materialwissenschaften (17 %)
    * Verfahrenstechnik (17 %)

Dass er mal eine Hochschule besucht, haben bei seiner Abschlussfeier an einer Jülicher Realschule vermutlich die Wenigsten vermutet. Denn damals hatte er nicht mal die Qualifikation für die Oberstufe, die bekanntlich erst die Grundlage für ein Hochschulstudium bildet. Stattdessen hat er sich klassisch zum Elektroniker für Geräte und Systeme ausbilden lassen und dann sechs Monate in seinem Ausbildungsbetrieb gearbeitet. Von dort ging es für ihn dann acht Monate nach Neuseeland und Südostasien. Work and Travel eben.

Arbeiten und Reisen hat ihn auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland begleitet: Sein erster Job führte ihn in die faszinierende Welt des Motorsports. “Da bist Du 200 bis 250 Tage im Jahr unterwegs.” Das war eine super spannende Zeit, herausfordernde Arbeit, am Rennwochenende mal eben 16 Stunden pro Tag an der Rennstrecke, um die bestmögliche Kommunikation zwischen Rennauto und Boxengasse zu ermöglichen.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem es zuhause schöner ist.

Aber irgendwas hat gefehlt. Immer unterwegs, dazu eine teils chaotische Planung. “Irgendwann kommt der Punkt, an dem es zuhause schöner ist. Das Projektmanagement ist dann der logische Schritt, um nicht immer mit dem Team unterwegs zu sein.” Übrigens ist es fast branchenüblich, dass Leute in das Projektmanagement hineinwachsen. “Das hat auch seine Vorteile”, sagt Markus. Zu wissen, wie ein Team arbeitet und funktioniert, ist einer dieser Vorteile. Gleichzeitig fehlen aber gerne theoretische Grundlagen, um ein Team gut managen zu können.  Und wo gibt es dieses Wissen besser und komprimierter als einer Hochschule? 

Mittlerweile lebte Markus Kähler in Essen und aus dem Ruhrgebiet wollte er auch nicht wieder weg, deswegen fiel die Wahl schnell auf die Technische Hochschule Georg Agricola. In der technischen Betriebswirtschaft, heute Wirtschaftsingenieurwesen, Schwerpunkt Projektmanagement, fand der heute 30-Jährige den Studiengang, der ihn auf die Überholspur brachte.

Aber wie geht das ohne Abitur? 

12 bis 13 Jahre Schule, dann an die Uni – das ist für fast alle jungen Deutsche der normale Weg an eine Hochschule. Jedoch wird der Umweg über das Berufsleben immer beliebter. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Quereinsteiger auf knapp 70.000 verdoppelt, weiß die Rheinische Post – das sind 2,2 Prozent aller Studenten an deutschen Hochschulen, in NRW sind es sogar 3,6 Prozent. Bundesweit haben im jüngsten Erhebungsjahr 2019 genau 8.547 Studenten ohne Abitur die Hochschule erfolgreich mit einem Master oder Bachelor beendet.

Faule Studenten? Nicht mit Georg Agricola

Auch wenn sich im Hochschulalltag keine Unterschiede zwischen Studenten mit und ohne Abitur zeigen, musste Markus etwas mehr als seine Kommilitonen leisten. Damals stieg er als Probestudent ein, der sich in den ersten vier Semestern beweisen muss: Am Ende der Probezeit müssen Vollzeitstudenten mindestens 80 Credit Points (Teilzeitstudenten 52) erreichen – sonst war es das mit der Hochschule. 

Die Erfahrungen der THGA zeigen, dass gerade Studierende ohne Abitur in der Regel sehr zielstrebig studieren und eine klare Orientierung mitbringen. Durch ihre Berufserfahrung verfügen sie über ein hohes Maß, sich selbst zu organisieren. Und dies gerade weil sie den Weg über die Berufliche Qualifikation gegangen sind.

Auch wenn Markus die 80 Punkte erst kurz vor dem Semesterende 2021 erreicht hat, hält er die Hürde nicht für übertrieben. “Wer Bafög beziehen will, muss auch 70 Punkte in vier Semestern schaffen.” An den Hochschulen hat sich übrigens gezeigt, dass 30 Credit Points pro Semester ein Topwert sind. Mit durchschnittlich 17,5 Credit Points pro Semester muss ein Bafög-Student also nur ein solides “Befriedigend” erreichen, Markus musste im Schnitt 2,5 Punkte mehr holen. “Die Hochschulen wollen halt sehen, dass man nicht Nichts macht”, sagt Markus. 

Die THGA ist eine Aufsteiger-Hochschule – seit 1816

Die Technische Hochschule Georg Agricola versteht sich seit jeher als Aufsteiger-Hochschule: Schon 1816 absolvierten die ersten Schüler ihre Bergbau-Ausbildung zum “practischen Bergbeamten”. Dieses industrielle Erbe entwickelt die moderne THGA zukunftsorientiert weiter, um in ihren anwendungsorientierten Studiengängen das Knowhow zur Lösung der ingenieurwissenschaftlichen Herausforderungen von Morgen und Übermorgen zu formen.

Und dann kam Corona

Die ersten zwei Semester sah es für Markus eher eng aus. An der Rennstrecke hat er das Lernen verlernt und musste gemeinsam mit seinen Kommilitonen neue Wege schaffen. Wiedereinsteiger falle die Umstellung aufs Lernen übrigens gar nicht so schwer, wie man denken könnte. Die Erfahrungen der THGA zeigen, dass gerade Studierende ohne Abitur in der Regel sehr zielstrebig studieren und eine klare Orientierung mitbringen. Durch ihre Berufserfahrung verfügen sie über ein hohes Maß, sich selbst zu organisieren. Und dies gerade weil sie den Weg über die Berufliche Qualifikation gegangen sind.

Zudem bietet die THGA zahlreiche Hilfestellungen, etwa Vorkurse in den MINT-Fächern. Zudem bieten wir an der THGA speziell für berufsbegleitend Studierende den Vorkurs „Effektiv Studieren“ an, in dem auch Lerntechniken vermittelt werden. 

“Und als ich dachte, das System durchschaut zu haben, wurde das System über den Haufen geworfen”, sagt Markus. Der Grund war eine weltweite Pandemie, die das Leben aller etwas durcheinander geworfen hat. Im Gegensatz zu einigen Studenten, die wegen Corona abgebrochen haben (oder endlich einen Grund für die Exmatrikulation gefunden haben), blieb Markus an der THGA – auch wenn das Online-Studium mit Vorlesungen und Prüfungen anstrengend war. 

Entsprechend langsam ging sein Studium voran. In den ersten zwei Semestern standen am Ende lediglich 20 Credit Points. Ab dem dritten Probesemester hatte er sich aber eingegroovt und er ist “in sowas wie der Regelstudienzeit fertig geworden.” Auch dank Corona, die die engen Leitplanken aller Studenten etwas geweitet haben. “So bin ich dann in so etwas wie der Regelstudienzeit für den Bachelor fertig geworden.” 

Management statt Handwerk

Seine Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem “Controlling im Multiprojektmanagement” – das Thema hat er bei seinem aktuellen Arbeitgeber, der AI-Gruppe, gefunden. Denn Probestudent bedeutet nicht, Vollzeitstudent sein zu müssen.  Das Controlling wurde im Studium gar nicht thematisiert. “Bei der AI-Gruppe kümmere ich mich unter anderem um die Abrechnung der Forschungsprojekte. Seitdem gefällt mir das Controlling sehr gut.” 

Ohne Lernen gehts nicht: Der Master ist das nächste Ziel – weiter in Teilzeit

Und nach dem Bachelor ist vor dem Master, sein nächstes großes Ziel, wenn auch mit angezogener Handbremse. “Ich rechne fest damit, den Master nicht in der Regelstudienzeit zu machen.” Denn neben dem Studium arbeitet er aktuell Markus 20 Stunden an der Hochschule, zehn bei der AI-Gruppe, da bleiben noch zehn Stunden für das Studium.

Damit gehört Markus übrigens zur Mehrheit der THGA: Mehr als die Hälfte studiert in Teilzeit. „Was heute als Heilmittel gegen den Fachkräftemangel gilt, hat an der THGA eine mehr als 200-jährige Tradition“, sagt Hochschulpräsidentin Susanne Lengyel. 

2 von 3 Studierenden sind die ersten Akademiker ihrer Familie

Mit ihrer familiären Atmosphäre motiviert die THGA insbesondere so genannte „Bildungsaufsteiger“, ein Ingenieurstudium anzugehen. Rund zwei Drittel der Studierenden sind die ersten Akademiker oder Akademikerinnen in ihrer Familie, fast 40 Prozent der Erstsemester haben einen Migrationshintergrund. 

Hintergrund: So gelingt der Einstieg in der THGA

Neben dem Abitur können auch verschiedene andere Abschlüsse den Zugang zu einem Studium an einer Fachhochschule ermöglichen – wozu die THGA institutionell zählt. Zum Beispiel die Fachhochschulreife, die unter anderem. an einer Fachoberschule erworben wird. Die Berufsbildungshochschulzugangsverordnung (BBHZVO) ermöglicht noch andere Wege zu einem Fachhochschulstudium, etwa den Abschluss als Industrie- oder Handwerksmeister oder als staatlich geprüfte*r Techniker*in. Ein Fachhochschulstudium kann ebenfalls aufgenommen werden, wenn eine dem Studiengang fachlich entsprechende Ausbildung abgeschlossen und danach mindestens 36 Monate im Ausbildungsberuf gearbeitet wurde. Passt die Ausbildung nicht zum Studienfach, gibt es die Möglichkeit eines Probestudiums (insofern die 36 Monate Berufserfahrung vorliegen). Hier müssen an der THGA in den ersten 4 Semestern 80 ECTS (Vollzeitstudium) bzw. 52 ECTS (Teilzeitstudium) erbracht werden, um das Studium weiterführen zu dürfen.

Insgesamt ist die Beratungssituation an der THGA sehr gut und die Wege am kleinen Campus kurz: Es gibt viele Einrichtungen, die die Studierenden in Ihrem Studienalltag unterstützen – von der Zentralen Studienberatung über das International Office bis hin zum Career Service, der bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven und beim (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt hilft. Mit StartING@THGA hat die Hochschule außerdem eine eigene Initiative, die Gründungsinteressierte berät und unterstützt. Neben den Angeboten der Hochschule empfehlen wir allen Studierenden, sich in Lerngruppen mit anderen Studierenden auszutauschen.

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